Morgens kurz nach acht Uhr fängt es an zu wuseln. Drei Busse spucken kurz hintereinander über 200 Kinder aus. Daniela Hartmann steht mit der Warnweste an der Haltestelle und sorgt dafür, dass alle sicher über die Straße kommen. Bis abends 18 Uhr finden die Waldheimleiterin und ihr Betreuerteam kaum Ruhe.
Große Schüsseln mit Brötchen stehen auf den Tischen, daneben Teller mit einem Berg Nutella darauf. Robin, Fabian und Moritz greifen hungrig zu. Die Zwölfjährigen schaffen sich beim gemeinsamen Frühstück eine gute Grundlage für einen Tag mit viel Bewegung an der frischen Luft. „Echt gut” finden Robin und Fabian das Waldheim in Stötten.
Die beiden Süßener sind zum ersten Mal dabei. Mit Moritz aus Gingen haben sie sich hier angefreundet. Draußen regnet es an diesem Tag zwar Bindfäden, aber das Trio kann es kaum erwarten, in den Wald zu kommen. Der Grund: Heute findet die Lägerles-Prämierung statt. „Wir haben ein Trojanisches Pferd gebaut, in das sogar zwei Leute reinsitzen können”, berichtet Moritz. Wie wird die Jury, bestehend aus dem Leitungsteam, die Kreation wohl bewerten?
Keine Computer, keine Handys, und einen Film gibt’s nur bei Dauerregen. Dafür werden intensiv die Natur und die Gemeinschaft erlebt – dieses Erfolgsrezept funktioniert hier seit fast einem halben Jahrhundert. Das evangelische Ferienwaldheim in Geislingen-Stötten feiert 2009 sein 50-jähriges Bestehen. Von nicht wenigen Steppkes, die hier an den langen Tischen sitzen, waren schon die Eltern Waldheimkinder.
Sonst nie in der Natur
Robin und Fabian sind zwar das ganze Jahr über viel an der frischen Luft, aber das gilt nicht für alle Kinder. „Viele kommen sonst gar nicht raus in die Natur”, hat Leiterin Daniela Hartmann beobachtet. „Für die ist das hier schon etwas Besonderes.” Für manche ist das Waldheim aus einem anderen Grund ein Höhepunkt; „Rund ein Viertel der Kinder, die hier sind, fährt gar nicht in Urlaub”, schätzt die Leiterin. Vor allem berufstätige Eltern schätzen Ferientagheime wie das in Stötten, sagt Daniela Hartmann, denn hier wissen sie ihre Kinder in der schulfreien Zeit gut aufgehoben. Wichtig ist im evangelischen Waldheim die tägliche Andacht, bei der auch Kinder begeistert mitmachen, die sonst wenige Berührungspunkte mit dem christlichen Glauben haben.
Auch Emily (fast neun) und der siebenjährigen Helen aus Donzdorf gefällt es gut hier: „Vor allem in den Wald rausgehen macht Spaß”, berichtet Emily. Die Schwestern sind gespannt, wie ihre selbst gebauten Indianer-Tipis vor den Augen der Jury abschneiden werden. Ihre Freundin Svenja bedauert, dass sie nur eine Woche bleiben kann. Andererseits haben sogar größere Kinder manchmal Heimweh, weiß Daniela Hartmann. Bei anderen merke man, dass sie es nicht gewohnt sind, sich in eine Gruppe einzufügen oder ein längeres Stück zu Fuß zu gehen.
Während die Kinder gruppenweise ins Freie strömen, ist das Küchenteam schon vollauf mit Spülen beschäftigt: 300 Gedecke für Kinder und Betreuer werden abgewaschen – und das bei bemerkenswert guter Laune. „Wir sind ein fröhliches Team”, unterstreicht Küchenchefin Rosi Guter, was ihre Mitstreiterinnen mit einem herzlichen Lachen bestätigen. Insgesamt 70 Helfer sind in den drei Waldheimwochen im Einsatz, davon elf in der Küche. „Drei Mitarbeiter im Leitungsteam opfern sogar ihren Erholungsurlaub”, sagt Daniela Hartmann, die als Jugendreferentin der Geislinger Gesamtkirchengemeinde die einzige hauptamtliche Kraft ist.
Mit 14 Jahren Schnupper-Helfer
Die 28-Jährige ist selbst kein ehemaliges Waldheimkind. Das unterscheidet sie von etlichen anderen Betreuern: „Wenn die Altersgrenze erreicht ist, möchten viele als Helfer wiederkommen.” So wie Fabian aus Süßen etwa, der als Zwölfjähriger zum letzten Mal Waldheimkind sein darf. Damit die Wartezeit nicht so lang wird, dürfen dieses Jahr erstmals 14-Jährige als „Schnupper-Helfer” dabei sein. Auf Anhieb haben sich zehn Teenager dafür gemeldet, so Hartmann.
Es ist wohl die besondere Mischung, die viele Waldheim-Fans immer wieder kommen lässt: Das Prinzip „Zurück zur Natur” in Zeiten von immer mehr elektronischer Freizeitgestaltung. Das Sich-Zusammenraufen in der Gruppe. Die fröhlich-entspannte Stimmung. Und für manche auch die Spannung beim Lägerles-Wettbewerb. Das Trojanische Pferd wurde übrigens Erster.
(Ingrid Zeeb, NWZ)